Kommentar: G-BA-Beschluss zur Cannabisverordnung – Ein Schritt nach vorn oder nur ein Placebo für Ärztinnen und Ärzte?

Berlin, 16. Oktober 2024 – Die Einführung des neuen G-BA-Beschlusses, der es Ärztinnen und Ärzten mit bestimmten Facharzt-, Schwerpunkt- oder Zusatzbezeichnungen erlaubt, medizinisches Cannabis ohne vorherige Genehmigung der Krankenkassen zu verordnen, wird als Fortschritt gefeiert. Doch unter der Oberfläche brodelt die Skepsis. Statt die Verordnung von Cannabinoiden wirklich zu erleichtern, könnte dieser Beschluss das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen Ärzteschaft und Krankenkassen weiter verschärfen.

Auf den ersten Blick mag es so scheinen, als ob der Zugang zu medizinischem Cannabis endlich einfacher geworden ist. Patientinnen und Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen, für die keine andere Behandlungsoption infrage kommt, könnten nun leichter Zugang zu Cannabinoiden erhalten. Doch hinter dieser feierlichen Fassade verbirgt sich eine unangenehme Wahrheit: Die Ärztinnen und Ärzte werden durch diesen Beschluss nicht wirklich entlastet – im Gegenteil, sie bleiben weiterhin einem erheblichen Risiko ausgesetzt.

Die größte Sorge bleibt der potenzielle Regress. Bisher war es für Ärztinnen und Ärzte, die Cannabis verordnen wollten, ein Schutzmechanismus, die Genehmigung der Krankenkasse einzuholen. Dies diente als eine Art Versicherung, dass die Verordnung den rechtlichen und wirtschaftlichen Anforderungen der Krankenkassen entsprach. Nun soll dieser Schutz in vielen Fällen wegfallen. Doch was passiert, wenn die Krankenkassen die Verordnung im Nachhinein anders bewerten als die behandelnden Ärztinnen und Ärzte? Das Risiko, dass in Zukunft hohe Summen von den Kassen zurückgefordert werden, bleibt bestehen. Dieser drohende Regress wird in der öffentlichen Debatte jedoch kaum erwähnt.

Die Ärztinnen und Ärzte befinden sich daher weiterhin in einer unsicheren Lage. Wie im G-BA-Beschluss vermerkt, „kann im Einzelfall von der Krankenkasse anders bewertet werden, ob die Voraussetzungen für eine Verschreibung von Cannabinoiden bei einer Patientin oder einem Patienten gegeben sind.“ Diese Willkür könnte dazu führen, dass viele Medizinerinnen und Mediziner, aus Angst vor Regressforderungen, weiterhin zögern, Cannabinoide zu verordnen. Denn wer möchte riskieren, Jahre später für eine vermeintlich rechtmäßige Verordnung zur Rechenschaft gezogen zu werden?

Das Entfernen der Genehmigungspflicht mag oberflächlich betrachtet wie eine Erleichterung wirken, doch in der Praxis bleibt die Rechtsunsicherheit bestehen. Ohne klare und verlässliche Regelungen, die die Ärztinnen und Ärzte vor der Willkür der Krankenkassen schützen, bleibt der Beschluss ein Placebo – mehr Schein als Sein.

Ein wichtiger Aspekt: Wie Dr. Paola Cubillos auf LinkedIn hervorhebt, geht es nicht nur um die finanzielle Haftung, sondern auch um schwerwiegende medizinisch-rechtliche Bedenken. Ärzt
sind allein verantwortlich für die Verschreibung eines nicht vollständig validierten Produkts, das für viele Anwendungen noch keine ausreichende wissenschaftliche Grundlage hat. Dieser Druck könnte zu noch größerer Zurückhaltung führen.

Gedankenexperiment:

Angesichts dieser Unsicherheiten frage ich mich, ob es nicht an der Zeit ist, dass die Pharmaindustrie selbst aktiv wird. Was wäre, wenn die Hersteller von Cannabisprodukten eine umfassende Datenbasis von PatientInnen sammelten und mehr in klinische Studien investierten? Cannabis wird in Deutschland bereits als Arzneimittel anerkannt, doch es fehlt nach wie vor an soliden wissenschaftlichen Belegen, die seine Wirksamkeit und Sicherheit umfassend bestätigen.

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